Alpha und Omega – Die Kunst der Initiale im fürstlichen Bestand der Bibliotheca Bipontina

Ausstellung in der Bibliotheca Bipontina vom 18. Oktober 2018 bis 30. Januar 2019

Buchstaben A und O
Alpha und Omega

Aus der antiken Tradition, nicht mit Interpunktion versehene Texte durch die Hervorhebung einzelner Buchstaben zu strukturieren, entwickelte sich eine besondere Form des Buchschmucks. – Den Beginn ganzer Texte, Kapitel oder Absätze zahlreicher Handschriften und Drucke markierte auch in neueren Zeiten häufig ein ästhetisch gestalteter Anfangsbuchstabe.

Das Landesbibliothekszentrum / Bibliotheca Bipontina zeigte aus dem Fundus ihrer herzoglichen Büchersammlung Beispiele unterschiedlicher Initialen. Illustriert wird einerseits die Entwicklung von den gemalten Bianchi Girari der Humanisten-Handschriften über die ganzseitige Holzschnittinitiale in Inkunabeln bis hin zum aufwändig gestalteten Anfangsbuchstaben, der die Ehrfurcht vor dem Wort Gottes in Bibeln der Reformationszeit unterstreicht.

Ein wichtiger Teil der Ausstellung ist andererseits, das Bildprogramm dieses Buchschmucks aufzuzeigen. Von zeitlichen aber auch regionalen Einflüssen bestimmt, unterscheidet sich die Gestaltung der Initialen. Rein ornamentale Formelemente werden neben solchen aus der Pflanzen- und Tierwelt benutzt. Hierbei, wie auch besonders bei der Wahl menschlicher Figuren und sogar ganzer Szenen zur Ausgestaltung von Initialen, steht der Wittenberger Buchdrucker Hans Lufft beispielhaft im Zentrum der Betrachtung. Drucke, in denen künstlerisch gestaltete Einzelbuchstaben allein mit dekorativer Funk-tion aus dem jeweiligen Vorrat von Zierelementen einer Werkstatt entnommen werden, stehen solchen gegenüber, bei denen die ge-wählten Initialen in ihrer Motivik bewusst auf den Inhalt des eingeleite-ten Textes abgestimmt sind.

In Anspielung auf jene beiden Buchstaben, mit denen das griechische Alphabet seinen Anfang und sein Ende nimmt, bezieht sich der Titel der aktuellen Ausstellung des Landesbibliothekszentums / Bibliotheca Bipontina auf ein besonders Thema aus der Schrift- und Textgestaltung, die Initiale. Diese ist zwar entgegen der Redewendung nicht das „A und O“, das „Ein und Alles“ der Kunstgeschichte, sie gilt allerdings als kleine Kostbarkeit schön gestalteter Handschriften und Drucke.

Als eine ‚Initiale‘ oder ein ‚Initial‘ (lat. initium‘ Anfang, Beginn) bezeichnet man Buchstaben am Anfang eines Textes, die gegenüber der Textschrift in Form und Größe hervorgehoben sind. – Die in dieser Ausstellung thematisierte Zier- bzw. Schmuckinitiale erfährt zusätzlich zu solchen erwähnten Buchstaben in Auszeichnungsalphabeten eine besondere künstlerische Gestaltung.

Ursprünglich hatten Initialen die Aufgabe, ‚ohne Punkt und Komma‘ geschriebene Fließtexte in Gedankenabschnitte, beispielsweise Kapitel, Abschnitte oder Verse, zu unterteilen. Schon bald erhielten die anfangs oft nur farbig hervorgehobenen einfachen Buchstaben eine eigene Funktion. Künstlerisch bearbeitet, wurden sie sehr früh zum wichtigen Schmuck von Handschriften und den stilistisch auf diesen fußenden Drucken. Über die schmückende Aufgabe hinaus wurde oft auch ein textdeutender Aspekt wichtig. Bereits seit dem 9. Jahrhundert markierten den hervorzuhebenden Text Versalien, nämlich Großbuchstaben, die zumeist die klassische römische Majuskel nachbildeten.

Aus dem reichen Fundus der Bibliotheca Bipontina zeigt die Ausstellung Beispiele für die Entwicklung der Initiale in mittelalterlichen Handschriften bis hin zu Holz- oder Metallschnitt-Initialen der Drucke des 15. bis 18. Jahrhunderts. Die Präsentation kann dabei aus der Vielfalt möglicher Exponate nur einige wichtige Beispiele der Varianten der historischen Entwicklung einerseits und andererseits der Motive und Typen, die Initialen prägen, zeigen, denn die regions-, zeit- und modeabhängige Vielfalt ist kaum überschaubar. Um die Inhalte der kleinen Kunstwerke, die oft nur Briefmarkengröße haben, besser vermitteln zu können, wurden bei der Zusammenführung einzelner Zierbuchstaben aus einem Buch oder aus dem Vorrat einer Offizin die Originale in der Kopie vergrößert. Denn es lohnt sich, sie intensiv betrachten zu können. Illustrieren sie doch oft aufs Lebendigste das Leben unserer Altvorderen, ihren Alltag, ihr Denken und ihre Lebenswelt.

Ziel der Ausstellung ist es vor allem, das Augenmerk auf jenes gestalterische Detail von Büchern zu lenken, das nur zu oft beim Lesen überblättert wird, obwohl es für dessen Verursacher, eine besondere Spezies von Künstlern bei Handschriften, bei Drucken oft der ganze Stolz einer Offizin auf einen Vorrat unterschiedlichsten Zierwerks, das von bedeutenden Künstlern entworfen sein konnte, von großer Bedeutung war.

Entstanden ist diese Ausstellung als Beitrag zu der Veranstaltungsserie „Ergebnisse aus einer Forschungsbibliothek“, der Bibliotheca Bipontina, in der inzwischen bewährten Zusammenarbeit der Universität des Saarlandes mit dem Zweibrücker Standort des LBZ. – Die Sichtung einer bibliotheksintern erstellten Liste auffälliger Initialen im Bibliotheksbestand hinsichtlich der Verwendbarkeit in einer Ausstellung wurde im Rahmen eines Praktikums im Masterstudiengang ‚Editionswissenschaften‘ von Frau Alrun Frings vorgenommen.

Kuratorinnen: Alrun Frings, Dr. Sigrid Hubert-Reichling - Technische Betreuung: Ulrike Riedl

Zierbuchstaben: Schmuck und Eigentumsnachweis

Verzierten Buchstaben begegnet man in verschiedensten Kontexten. Während die Initiale, sei sie nur die in Größe und Form abgehobene Hilfe zur Gliederung eines Textes oder die zusätzlich durch künstlerisches Dekor zum besonderen Buchschmuck gewordene Zierinitiale, stets in Verbindung zu Texten steht, findet man unterschiedlichste Arten verzierter Buchstaben auch ohne kontextuelle Bindung. Wäschestücke, Geschirre und Bestecke, Kunstgegenstände und vieles mehr tragen Monogramme. Ursprünglich verstand man hierunter einen Einzelbuchstaben, übertrug dies jedoch im Laufe der Zeit auf die Bezeichnung von zumeist kunstvoll gestalteten Lettern, die zu einem Zeichen zusammengefügt wurden. Am häufigsten ist die Verbindung der ersten Buchstaben von Vor- und Nachnamen, die oft dermaßen künstlerisch überhöht sind, dass die Lesbarkeit hinter dem Artifiziellen zurücktritt. Wichtig ist, dass mit solchen Zierbuchstaben zumeist ein Eigentumsanspruch deklariert oder eine Herkunftsbezeichnung gegeben wird. – Um Besitznachweis geht es auch beim Gebrauch von Monogrammen in Büchern: Supralibros schmücken deshalb Bucheinbände nicht nur mit Wappen und Porträts, sondern auch mit den Anfangsbuchstaben von Eigentümern. In Buchdeckel werden individuell gestaltete Exlibris, oft mit dem Monogramm des Eigentümers, geklebt. Hiervon abweichend war die Mode besonders des 16. Jahrhunderts, einzelne Wörter oder ganze Textpassagen von Titelblättern mit reich verzierten, schwer entzifferbaren Zierbuchstaben zu versehen. Hier stand allein der Schmuck im Vordergrund.

In moderner Zeit sind Initialen und Monogramme seltener geworden. Eine besondere Ausnahme bildet die 1979 erschienene Ausgabe von Michael Endes „Unendlicher Geschichte“, in der es der Künstlerin Roswitha Quadflieg zusammen mit dem Autor gelang, alle Buchstaben des Alphabets in ihrer korrekten Reihenfolge in ganzseitigen bewohnten Initialen mit Textbezug an den Beginn der Kapitel zu stellen.

Die Hoch-Zeit der Initiale – Zeugnisse aus dem Fragment-Fundus der Bibliotheca Bipontina

Weil die Bibliotheca Bipontina eine Gründung der Reformation ist, verfügt sie nur über wenige vollständige mittelalterliche Handschriften, in denen die Kunst der Initial-Malerei ihre Blüte erlebte. Einen Eindruck von dieser Kunst vermitteln allerdings Fragmente meist liturgischer Handschriften, die in der Bibliothek in Einbänden und als Buchdeckel überliefert sind. Sie entstanden als man im lutherischen Pfalz-Zweibrücken per Gesetz alle Zeugnisse des ‚alten Glaubens‘ verkaufen ließ, aber derart, dass sie nie wieder in einer Messe Anwendung finden konnten. Viele Pergamenthandschriften wurden deshalb Buchbindern verkauft, die diese zerschnitten und sie für Einbände verwandten.

Die überlieferten Fragmente vermitteln einen Überblick über die wichtigsten Initialtypen des Mittelalters und lassen erahnen, wie prachtvoll sie in ihrer ursprünglichen Umgebung gewirkt haben. – Neben besonderen Schmuckinitialen wie jenen im beliebten Fleuronnée- (= Blüten-), Bandwerk-, oder Medaillonstil zeigen einige der Exponate auch die damals am häufigsten als Gliederungszeichen benutzte Lombarde. Es handelt sich hierbei um eineinhalb- bis dreizeilige, sehr bauchige Buchstaben in Majuskelform gotischen Stils. Sie wurden aus der römischen Majuskelschrift ‚Uncialis‘ abgeleitet und unterscheidet sich als reine Initialmajuskel in ihrer Schlichtheit deutlich von der Schmuckinitiale.

Initiale und Buchdruck – Die Zeit der (noch) freien künstlerischen Gestaltung von Zierbuchstaben in Inkunabeln

Jene Schriften, die nach der Erfindung des Buchdrucks bis zum Jahr 1500 erschienen sind, werden Windel-, Wiegendrucke oder Inkunabeln genannt. Nicht nur die Verwendung von Abkürzungen für häufige Endungen, Buchstabenzusammenziehungen, mehrere Letternformen für einen Buchstaben oder fehlende Titelblätter beweisen, dass den Buchdruckern Handschriften als Vorbild dienten. Das Buch, wie wir es heute kennen, entwickelte sich erst allmählich mit Titelblatt, Impressum und ähnlichem. Der Bezug zu Handschriften zeigt sich noch lange beim Textsatz als Fließtext, ohne Absätze, oft auch noch ohne Interpunktion. Auch bei Frühdrucken übernahmen, wie bei der Handschrift, Rubrikatoren Hervorhebung von Gliederungspunkten durch farbliche Markierungen und das Einfügen größerer Buchstaben. Die Illustration der frühen Drucke durch Initialen folgte dem Vorbild der Handschrift, wobei sich mehrere Varianten finden lassen. Diese reichten von der vollständigen Aussparung eines zumeist quadratischen Bereichs im Satz, in dem die betreffende Initiale künstlerisch frei gestaltet wurde, bis hin zum Druck eines Minuskel-Platzhalters für den Initialbuchstaben in einem freigelassenen Feld.

Solche kleinen Buchstaben dienten Buchkünstlern als Gedankenstütze für die später auszufertigende Initiale. In zahlreichen Inkunabeln allerdings wurde die zusätzliche Ausschmückung durch eine künstlerisch gestaltete Initiale, möglicherwiese aus Kostengründen, nicht vorgenommen, so dass der Platzhalter die Funktion einer Lesehilfe übernahm.

Inkunabeln und Holzschnitt-Initialen – Vorgegebenes Zierwerk und seine Individualisierung durch Kolorierung

Eine neue Entwicklung der Initialgestaltung in Inkunabeln setzte mit der Verwendung von Holzschnitten zur Ausgestaltung der Drucke ein. Hatte man in Mainz bereits sehr früh versucht, in Metall geschnittene Initialen zu verwenden, so gab man schnell der Holzschnitt-Initiale den Vorzug, ließ diese sich doch als Hochdruck mit dem Letternsatz in einem Druckvorgang abbilden. Die Benutzung von Holzschnitten beendete die mittelalterliche, freie Buchmalerei auch für die Initiale. Drucke einer Ausgabe waren nun hinsichtlich ihres Schmuckes identisch.

Allerdings boten sich Holzschnitte dazu an, koloriert zu werden. Die Wahl der Farben und die beim Kolorieren verwendete Sorgfalt waren vom jeweiligen Künstler abhängig und gaben Raum für eine Individualisierung und damit oft auch Interpretation der vorgefundenen Abbildung.

Da das Zierwerk nun mit dem Holzschnitt vorgegeben und der mehrfach vorhandene Druck im Gegensatz zur früheren freien Ausgestaltung, sieht man von einer Kolorierung ab, kein Unikat mehr war, verbreiteten sich schnell Vorlieben hinsichtlich des Stils und Motivs. Holzschnitte wurden von Offizin zu Offizin weitergeben, da es kein Copyright gab, nachgeschnitten oder einfach sogleich mehrfach verkauft. Auf Messen konnten sich Buchdrucker mit dem entsprechenden Buchschmuck versorgen. Je mehr Holz- oder Metallschnitte sie besaßen, umso abwechslungsreicher konnten ihre Produkte gestaltet werden.

Eine besonders verbreitete Mode in der Renaissance war es, bei Initialen den Hintergrund schwarz abzudrucken, während der Initialbuchstabe und dessen Verzierung sich weiß, nicht gedruckt, davon abhob. Der Drucker Erhard Ratdolt hatte diesen Stil aus Venedig nach Deutschland gebracht. – Eines der beliebtesten floralen Motive, die Maiblume, verbreitete der Drucker Günther Zainer von Augsburg aus.

„Bewohnt, historisierend, gymnastizierend …“ – Unterschiedliche Typen von Zierinitialen

Initialen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Art ihrer Herstellung als Holz- oder Metallschnitt, sondern auch formal und stilistisch. Regionale und zeitbedingte Vorlieben und Moden spielen bei ihrer Ausformung eine wichtige Rolle. Ihre Beschreibung erschwert häufig eine fehlende terminologische Vereinheitlichung. – Die die Exponate aus der Bibliotheca Bipontina können nach einigen groben Hauptkriterien unterschieden werden. Zum einen ist der Aufbau des Initialbuchstabens ein wichtiges Differenzierungsmittel, zum anderen die Art der Verteilung unterschiedlichster Motive im und um dem Buchstabenkorpus. So steht der klar erkennbare Initialbuchstabe, geformt als ‚Kapitalis‘, solchen Buchstaben gegenüber, die entweder bereits ornamental aus Bandwerk geformt oder aus figürlichen oder floralen Elementen gebildet werden. Besonders runde Buchstaben eignen sich dazu bewohnt zu sein und selbst Motive zu umschließen. Alternativ werden Initialbuchstaben von verschiedensten Schmuckelementen umgeben oder mit ihnen verflochten. Die Initiale kann in einem zumeist quadratischen Rahmen gefasst sein oder frei stehen. Initialen zierende Motive stammen aus allen nur denkbaren Bereichen, vom rein Ornamentalen bis hin zu ganzen Szenen. – Ein wichtiges Kriterium bei der Beschreibung von Initialen ist neben formalen und thematischen Aspekten ihr Verhältnis zum Text. Reine Schmuckelemente, die willkürlich austauschbar, in jedem beliebigen Text Anwendung finden können, stehen neben ‚historisierenden‘, nämlich solchen, die einen direkten oder auch symbolischen Textbezug haben.

Bei den Motiven vieler Initialen alter Werke spielt oft die Symbolik eine wichtige Rolle. Mythologische oder auch biblische Anspielungen waren unseren Vorfahren zumeist schnell verständlich, erschließen sich dem heutigen Betrachtenden jedoch oft nur schwer.

Vom Schnörkel zu Szene – Vom Ornament zum figürlichen Motiv: Ausgestaltung und Füllung von Zierinitialen

Einen Überblick über die Bandbreite möglicher Motive, die zur Ausstattung von Zierinitialen dienten, zeigt diese Vitrine. Einfache kalligraphisch gestaltete Majuskelinitalen stehen solchen gegenüber, die, auf italienischem Buchschmuck der Renaissance fußend und ihn weiterentwickelnd, vor allem von französischen Drucker bevorzugt wurden. Sie wurden oft von Künstlern speziell für eine Offizin geschnitten, gelegentlich auch signiert. Florales Rankenwerk oder maureske Muster überwiegen bei solchen Initialen. Oft verfügte eine Offizin über mehrere sich ähnelnde Initialalphabete in unterschiedlichen Größen, die harmonisch in stilistisch höchst ansprechenden Drucken kombiniert wurden. Hervorzuheben sind hier besonders Drucke der Lyoner Tournes’schen Offizin (vgl. Bip. Sig. L 1014).

Konnte derartiges Zierwerk, das durch florale Elemente bewohnt war, themenunabhängig als Ornament in Drucken verwendet werden, ist die Ausstattung von Drucken mit menschlich-figürlich bewohnten Initialen stärker vom Thema des jeweiligen Textes abhängig. – Die hier ausgestellten Initialen zeigen beispielhaft zwei Motivkreise, die im 16. und 17. Jahrhundert besonders beliebt waren: Initialen, die Szenen aus der Bibel oder der antiken Mythologie aufnehmen. Letztere dürften für den Leser eine Art intellektuelle Spielerei bedeutet haben, es galt hier oft, den indirekten Bezug zum Text aufzudecken.

Völlig anders präsentieren sich Initialen aus dem 18. Jahrhundert: Ersetzte hier einerseits häufig der Kupferstich die Technik des Holzschnittes (Bip. Sig.: L 1029) bewohnten die Initialen andererseits nun oft realistische Darstellungen wie Porträts mit enger Textbindung. Alternativ hierzu setzte sich die Strömung des l’art pour l‘art auch bei Initialen durch. Inhaltlich überlastete Initialen mit an Kitsch grenzender Füllung spiegeln, ohne Rücksicht auf inhaltliche Bezugnahmen, den Geschmack der Zeit wider (Bip. Sig. R 239).

Flora, Fauna, Artefakte – Bewohnte Initialen spiegeln die Umwelt

In stilistischer Vielfalt, künstlerisch verfremdet, streng naturalistisch abgebildet oder einfach der Form des vorgegebenen Buchstabens untergeordnet, präsentiert sich die Umwelt des frühneuzeitlichen oder barocken Menschen in vielen bewohnten Initialen. Gerade bei der Abbildung von Tieren und Pflanzen ist häufig eine symbolische Verweisfunktion zu beachten. Der König der Tiere, der Löwe, ehrt den im Text angesprochenen Pfalzgrafen; eine Initiale mit einem lesenden Esel ironisiert die Lesesituation, zusätzlich kommentiert in einer Randglosse. Allerdings muss bei der Bewohnung durch Motive aus Flora und Fauna nicht immer ein Textbezug vorliegen. Die Initialfüllung kann generell eine symbolische Verweisfunktion haben, wie z. B. auf das menschliche Laster der Hybris oder Eitelkeit, thematisiert durch einen in den Spiegel blickenden Affen.

Das zufällig in einem Band fast vollständig abgebildete ‚Hasen-Alphabet‘ lässt vermuten, dass Buchdrucker wohl zumeist über thematisch einheitliche Initialalphabete verfügten. Moden hinsichtlich bestimmter Motive zeigt die Nutzung unterschiedlicher mit Hasen bewohnter Initialen bei den beiden Basler Druckern Froben und Curio (Bip. Sig. R 61B: Abbildung unten). Dem stehen zwei stilistisch stringente Alphabete (Bip. Sig.:L 1044 und G 590) gegenüber, welche verschiedene Motivkreise kombinieren. Trotz der Vielfalt der pro Seite benutzten Initialen entsteht hierdurch ein harmonischer Eindruck.

Leben und Sterben – Renommierte Künstler gestalten Zierinitialen als Zeugnis des Menschseins

Selbst wenn Zierinitialen der einzige Schmuck eines Bandes und rein dekorativ verwendet sind, werden durch diese kleinen Abbildungen kulturgeschichtlicher Inhalte vermittelt, Einblicke in zeitgenössisches Leben sehr komprimiert gewährt. Eben dieser Alltagsthematik widmen sich viele überlieferte Initialalphabete, deren Entwürfe von berühmten Künstlern wie beispielsweise Virgil Solis oder Hans Holbein stammen. Einen zentralen Stellenwert haben dabei von Kindern bewohnte Initialen, sogenannte ‚Kinderalphabete‘, die mit deftigen Szenen Erwachsenenleben spiegeln. Zudem bebildern Zierinitialen ständisch gebundene Lebenssituationen, zum Beispiel aus dem höfischen (Bip. Sig. L 27B) oder bäuerlichen Bereich. Butsch schildert diesbezüglich Holbeins ‚Bauernalphabet‘, als eine seiner „pikantesten und launigsten Schöpfungen“, wobei die einzelnen Initialen „geradezu anstößigen Charakters sind“.

Als „geistreichste, künstlerisch bedeutendste Schöpfung deutscher Frührenaissance“ gelten Hans Holbeins erstmals in Basel von Johann Bebel gedruckten ‚Totentanzinitialen‘ (um 1532), die im Bestand der Bibliotheca Bipontina in einem Druck des Baslers Froschauer begegnen (Bip. Sig. B 7B, 1). Es kann sich hierbei sowohl um einen durchaus üblichen Nachschnitt oder die Weitergabe des Zierwerks handeln. Inhaltlich interessant ist, dass Froschauer das Totentanzalphabet mit einem Kinderalphabet kombiniert, in dem gleichfalls Musikinstrumente häufige Requisiten sind. Diese Zusammenführung gibt der so verzierten „General-Bibliographie“ eine inhaltliche Deutung, die ihre Vollständigkeit mit dem Anfang und Ende menschlichen Lebens in Beziehung setzt.

Lebenswelten – Arbeitswelten: Zierinitialen zeigen Berufsalltag und Forschung

Zu den eindrucksvollsten Bänden der Bibliotheca Bipontina gehört Peter Apians „Astronomicum caesareum“ (Bip. Sig. M 1A), das nicht nur durch seine drehbaren Himmelsscheiben und die architektonische Visualisierung von Rechentabellen fasziniert, sondern auch durch prächtige bewohnten Holzschnitt-Initialen, die, historisierend, Astronomen in ihrem Forschungsalltag zeigen. Michel Osterndorf hat um 1533 dieses Alphabet, das mit einzelnen Buchstaben immer wieder in Apians Drucken benutzt wurde, für dessen Offizin gezeichnet.

Die übergroße Ausgabe des zentralen medizinischen Werks Andreas Vesals (Bip. Sig. H 4A) gibt zusätzlich zu den großformatigen Darstellungen des menschlichen Körpers mit seinen Zierinitialen wichtige Einblicke in das medizinische Wissen und die Tätigkeit von Ärzten im 16. Jahrhundert. – Eine Geburt, das Schienen und die Amputation von Gliedmaßen oder gar eine Kopfoperation, sind nur einige Behandlungsmethoden, welche dem Betrachtenden der Initialen einen Blick in die medizinische Praxis früherer Zeit gestatten. Wie bei den ‚Kinderalphabeten‘ sind die Akteure selbst bei der Vivisektion eines Schweines, nackte kindliche Gestalten, die das Erwachsenenleben in ihre Welt hinunterbrechen.

Ein Blick in die Werkstatt des Bibeldruckers Hans Lufft (1495 - 1584) – Sein Vorrat an Initialzierwerk

Im fürstlichen Bestand der Bibliotheca Bipontina befinden sich seit dem Erscheinungsjahr 1543 zahlreiche Drucke des Wittenberger Bibeldruckers Hans Lufft, der seit 1534 erstmalig die Gesamtausgabe der deutschen Bibelübersetzung druckte. Seine Offizin produzierte eine besonders große Zahl theologischer Publikationen, bei deren Durchsicht Rückschlüsse auf das Zierwerk, hier besonders die Initialen, die Lufft besaß, möglich werden. Die Offizin verfügte über mehrere Initialalphabete, deren Zahl stetig erweitert wurde.

Die in Drucken Hans Luffts benutzten Initialen stehen beispielhaft für die wichtigsten stilistischen Dekors dieser Art des Buchschmucks im 16. Jahrhundert. Kalligraphische Alphabete stehen neben mauresken, vegetabilen und mit Tieren, Putti und Bibelszenen bewohnten. Sehr häufig verwendete Lufft ein Alphabet mit großen Initialen, in denen, typisch für die Kunst der Renaissance, Putti die vegetabilen Zierelemente der Buchstaben bevölkern, sogenannte Rankenkletterer-Initialen. Einige wenige sehr große Initialen zeigen bei Lufft schöne biblische Szenen als Bildeinschluss. – Die diversen Initialalphabete finden während der ganzen Schaffenszeit der Offizin Lufft in unterschiedlichsten Kombinationen immer wieder Verwendung. So werden auch die Zierbuchstaben der Bibelausgabe von 1543, die in einer kolorierten Prachtausgabe für Pfalzgraf Karl von Pfalz-Birkenfeld in der Bibliotheca Bipontina vorhanden ist, nach ihrem Erscheinen häufig wieder benutzt. – Der Wechsel der unterschiedlichen Holzschnitt-Initialen in Motiv, Größe und unterschiedlicher Hintergrundgestaltung – mit und ohne Schraffur – soll offensichtlich auch bei nicht kolorierten Ausgaben den Eindruck von Lebendigkeit vermitteln.

Initialalphabete aus der ersten deutschen Gesamtausgabe der Bibel von Martin Luther (1534)

Die bei Hans Lufft in Wittenberg gedruckten Bibelausgaben zeigen größte Unterschiede hinsichtlich des Erscheinungsbildes der Initialen. – Eine Reproduktion des Exemplars der „Gr. S. Bibliothek zu Weimar“ zeigt deutlich die ikonographischen Unterschiede im Vergleich zum parallel ausgestellten Initialalphabet der Ausgabe des Jahres 1543. Auffallend ist besonders die Verwendung zahlreicher ‚bewohnter‘ Initialen, die bei der Einführung der Evangelisten Textbezug haben. Einige wenige Buchstaben der Erstausgabe sind auch in der Ausgabe 1543 zu finden.

W. Mejer beschreibt die Initialen folgendermaßen: „Die von Lufft benutzten Initialtypen zeichnen sich […] vielfach durch künstlerischen Wert aus. Außer der von Butsch [...] veröffentlichten Serie von Cranach für Lufft geschnittener Initialen, die allerdings eher dem Meister M.S. (der alle Bilder der Ausgaben 1534 ff. entwarf) als Cranach d. Ä. zuzuschreiben sind, finden sich noch andere Formen in Antiqua und Fraktur […] . Künstlerisch stehen weit über diesen Arten die Bildertypen, […], die durch blatt- und pflanzenähnliche Stilelemente oder rankenförmigen Linien ornamental verziert oder oft in geradezu genialer Weise mit menschlichen Gestalten, Tieren und Landschaften in Verbindung gebracht sind. – Auf diesen kleinen Bildern der Typen in deutschem Renaissancestil finden wir einmal idealisierte Gestalten, puttenartige Kinder […]; das andere Mal Typen aus dem Volksleben, die oft humoristische Züge tragen. Zuweilen sind sogar lebendige Szenen mit mehreren Figuren in einem Initial dargestellt.“ (S. 26 ff)

Alphabete der Lufft-Bibel in der Ausgabe 1543

Im Gegensatz zu den Initialalphabeten, die sich in der Erstausgabe von 1534 durch figürliche Bewohnung auszeichneten, verwendete die Offizin Lufft in der Ausgabe des Jahres 1543 völlig anderes Zierwerk, das vor allem vegetabile Ausschmückungen zeigt. Zu unterscheiden sind mehrere große und kleine Alphabete, die hier differenziert werden in solche mit und ohne schraffiertem Hintergrund. Einige der Motive sind in beiden Hintergrundformen identisch. Kein Alphabet ist vollständig in der Bibelausgabe enthalten. Ob Lufft sie besaß, ist nicht nachzuweisen. Wie in fast allen bekannten Initialalphabeten sind die Buchstaben „X“ und „Y“ nicht vorhanden. Die am häufigsten benötigten Buchstaben „D“ und „V“ = „“U hält die Buchdruckerei in mehreren Nachschnitten vor, die sich nur minimal voneinander unterscheiden oder aber mit unterschiedlichen Motiven ausgestattet sind. – In der Ausgabe von 1543 gibt es lediglich die vier figürlich bewohnten kleinen Initialbuchstaben „D“, „H“, „L“ und „R“.- Die einzelnen Bücher der Bibel sind mit sehr großen Schmuckbuchstaben geziert, die, wie auch die kleinen Alphabete, hier in vergrößerter Form abgebildet sind. Stilistisch unterscheiden sich die Großbuchstaben voneinander: Rosetten, Knorpelwerk, Akanthusblätter, Voluten etc. sind zu finden. Für einige Buchstaben werden parallel Holzstiche aus offensichtlich unterschiedlichen vorliegenden Alphabeten benutzt. Da fast ausschließlich florale Motive verwendet werden, fehlt der Textbezug bis auf einziges Beispiel, in dem die Füllung des Kleinbuchstaben D mit einer Kindergestalt assoziativ Bezug auf den nebenstehenden Test nimmt.

Die Bibliotheca Bipontina besitzt ein Exemplar der Lufft-Bibel in der einspaltigen Ausgabe von 1543, die ihrem Bibliotheksgründer Pfalzgraf Karl von Pfalz-Birkenfeld 1584 anlässlich seines 24. Geburtstages vom Kurfürsten von Sachsen geschenkt wurde. Das wahrhaft fürstliche Geschenk zeichnet sich durch seine kräftige Kolorierung aus. Auffallend ist, dass der kolorierende Künstler, der offensichtlich auch das Dedikationsexlibris dieser Ausgabe geschaffen hat, durch die Verwendung von starken Deckfarben die Holzschnittumrisse übermalt und die Füllung der Initialen sehr frei variiert hat. Identische Buchstaben sind oft in ähnlicher oder gleicher Weise gestaltet. Kommen mehrere Initialen auf einer Doppelseite in der Bibelausgabe vor, so war der Künstler bemüht, farbliche Harmonie zu wahren. Die kräftige Farbwahl überdeckt zuweilen auch den Hintergrund der Holzschnitte so sehr, dass es im kolorierten Exemplar kaum möglich ist, die einzelnen Alphabete zu unterscheiden. – Im Sinne der Einheitlichkeit sind die wenigen figürlich bewohnten Holzschnitt-Initialen dermaßen mit floralen Elementen übermalt, dass das ursprüngliche Motiv nicht mehr identifizierbar ist.

Prachtvoll kolorierte Holzschnittinitiale: Das Zweibrücker Exemplar der Luther-Bibel aus dem Besitz des Pfalzgrafen Karl von Birkenfeld

Gezeigt wird eine kleine Auswahl aus der vielfältigen farblichen Gestaltung der Holzschnitt-Initialen, die sich durch die Kolorierung auch vom Motiv her von der gedruckten Vorgabe wie auch voneinander unterscheiden können.

Initialen in Sekundärliteratur und Reproduktionen

Informationen über Zierbuchstabe sind vielfältig. Werke über Buchkunst, und Kunstgeschichte informieren über stilistische und technische Entwicklungen dieses Zierwerkes von Handschriften und Drucken. Zusätzlich findet sich ein breites Spektrum von Literatur, die kalligraphisch Interessierte dazu anleitet, selbst Zierbuchstaben herzustellen.

Einen Eindruck von der Kunst der Initiale in unterschiedlichen Jahrhunderten ermöglichen zudem Reproduktionen kostbarer Handschriften und Drucke, zu deren Originalen heute kaum ein Zugang mehr möglich ist oder auch Digitalisate. Sie alle zeigen, auf welch künstlerischem Niveau der Buchschmuck einst stand und welche Bedeutung selbst einer ‚hübschen Nebensächlichkeit‘ wie der Verzierung von Anfangsbuchstaben beigemessen werden konnte.

PfeilNach oben

Kontakt

LBZ / Bibliotheca Bipontina
Bleicherstr. 3
66482 Zweibrücken
Telefon: 06332 16403
E-Mail: Bipontina(at)lbz.rlp.de

PfeilNach oben