Der Karneval in der Kultur
Maske Karneval 2015 in Venedig, Italien, Europäische Union. © Naturpuur, CC BY 4.0 via Wikimedia Commons
Eine Ausstellung des Landesbibliothekszentrums Rheinland-Pfalz und des Instituts für Germanistik der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz
Der Karneval hat viele Gesichter, das fängt schon bei den verschiedenen Bezeichnungen an, die ihm in den Regionen gegeben werden. ‚Karneval‘ stammt vom lateinischen ‚carne vale‘ oder ‚carne levare‘, betont also den Verzicht auf Fleisch, während ‚Fasching‘ den letzten Ausschank vor der Fastenzeit meint und ‚Fastnacht‘ sich vermutlich direkt auf das Fasten bezieht. Der Brauch, den Winter auszutreiben und das kommende Frühjahr zu feiern, ist allerdings viel älter als das Christentum. Als Teil des kulturellen Gedächtnisses gibt es bestimmte Vorstellungen, die mit dem Karneval verbunden werden, die aber teilweise zum Klischee oder zum Mythos geronnen sind. In der Literatur ist Karneval Thema oder Motiv, Gegenstand der Beschreibung oder sogar Schreibanlass.
Die Ausstellung thematisiert die Frage, welche kulturelle, auch auf die Literatur und die Sprache insgesamt bezogene Bedeutung der Karneval hat. Ausgehend von den Kernelementen des Karnevals wie Kappensitzung, Büttenrede, Karnevalslied spannt sie den Bogen zu den Verbindungen von Karneval und Politik, Karneval und Geschichte, Karneval und Literatur. Sie ist das Ergebnis einer Kooperation des Landesbibliothekszentrums mit dem Institut für Germanistik der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz im Wintersemester 2020/2021.
Aufgrund der Corona-Krise wird die Ausstellung in Form einer Plakatausstellung an den Fenstern der Bibliothek präsentiert, ergänzt um eine virtuelle Ausstellung im Netz die ausführlichere Texte, weitere Bilder und informative Quellen präsentieren wird.
Dörthe Dutt - Eröffnung der Ausstellung "Der Karneval in der Kultur"
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Mit dem Rheinischen Karneval verbindet man direkt Elemente, wie z.B. Kostüme, Umzüge und Kappensitzungen. Aber was ist eigentlich mit Karnevalsplakaten? Obwohl das Karnevalsplakat seit knapp 200 Jahren eine wichtige Funktion für den Karneval übernimmt – das Werben für und Informieren über den Karneval – gerät es oft in Vergessenheit. Im Vergleich zu anderen Medien hebt es sich dadurch ab, dass es keiner Eigeninitiative bedarf, womit folglich seine Wichtigkeit als solches anerkannt werden sollte. Daher ist es relevant, sich näher mit dem Karnevalsplakat zu beschäftigen.
Das klassische Karnevalsplakat ist durch sein Hochformat, seine Reduktion der Informationen, seine Text-Bild-Beziehung und seine einfache Sprache gekennzeichnet. Es ist an (nicht-)öffentlichen Orten vorzufinden, wobei sich die Veröffentlichung auf den Karnevalszeitraum begrenzt. Das Plakat von 1939 beinhaltet spezifische Grundelemente (Überschrift, Illustration und Werbeobjekt) und stellt in Form einer Bild-Text-Beziehung den Bezug zum Karneval her.
Mit der der Digitalisierung eröffnen sich neue Gestaltungsmöglichkeiten: Neben zeichnerischen Illustrationen, die durch Computeranimationen oder Fotografien erweitert wurden, sind weitere Merkmale (z.B. Sponsoren oder QR-Codes) auffindbar.
Die zwei Beispiele veranschaulichen, dass das Karnevalsplakat „mit der Zeit gegangen ist“ und sich an ihm diverse Veränderungen vollzogen haben.
Hier finden Sie den vollständigen Ausstellungstext sowie eine Auswahl von Exponaten:
Das Karnevalsplakat
Texte: Angelika Kubotsch und Giuseppina Recchia Giuseppina
Quer durch Köln. ( Karnevalszeitung). Köln, 1823 © Archiv des Kölner Karnevalsmuseums
„1794 wurde von der [französischen] Besatzungsbehörde das Maskentreiben in den Straßen streng verboten: erst 1801 gab die Pariser Regierung es auf Bitten der damaligen Stadtverwaltung wieder frei. Aber die Zeitverhältnisse hatten den Kölner Karneval zerrüttet. Zügellosigkeit, wilde Sitten und Auswüchse aller Art bedrohten das Heimatfest. Eine zunehmende Verwilderung breite sich aus“ (Quer durch Köln 1823, S. 4). Nach dem Abzug der Franzosen im Jahr 1815 wurde Köln preußisch. Die Befreiungskriege hatten die schwierige wirtschaftliche Lage zur Folge. Dies wirkte sich auch negativ auf den Kölner Karneval aus. 1822 erfolgte dann die Wiederbelebung des Festes unter Heinrich von Wittgenstein und die Planung des Maskenzuges am Fastnachtmontag.
1823, in der Geburtsstunde des modernen Karnevals, erschien die erste Kölner Rosenmontagszeitung. Die Karnevalszeitung ist eine humoristische Zeitung und behandelt verschiedene Ereignisse des vergangenen Jahres. Dabei werden besonders die Taten und Peinlichkeiten wichtiger Personen, wie zum Beispiel Politiker, kommentiert.
Hier finden Sie den vollständigen Ausstellungstext sowie eine Auswahl von Exponaten:
Die Karnevalszeitungen – ein diachroner Vergleich
Text: Özge Calis, Katharina Ontrup und Büsra Ebru Yilmaz
Elferrat © Don Bühl (Thomas Büttner), Attribution, via Wikimedia Commons
Neben den traditionellen Umzügen, bilden die Kappensitzungen ein weiteres Highlight der Karnevalssessionen im Rheinland. Sie bestehen aus unterschiedlichen karnevalistischen Darbietungen, wie Karnevalsliedern, Büttenreden oder Tanzeinlagen. Meist stehen die Sitzungen unter verschiedenen Mottos, an denen sich der Inhalt oder die Aufmachung der Interpretinnen und Interpreten orientieren.
Traditionell werden die Sitzungen in lokalen Dialekten (z.B. Kölsch) gehalten. Dabei ist es üblich, mehrere Sitzungen mit unterschiedlichen Themenbezügen, und Zielgruppen wie beispielsweise Kindersitzung, Herrensitzung, Damensitzung, Prunksitzung, Seniorensitzung zu veranstalten.
Bereits im 18. Jahrhundert fanden die Vorläufer der Kappensitzungen in Form von Maskenbällen statt. Im 19. Jahrhundert entstanden dann die ersten Kappensitzungen mit Büttenreden und ähnlichen Inhalten, wie wir sie heute kennen.
Die ersten großen Sitzungen mit der Referenz zur Kappensitzung oder Karnevalssitzung etablierten sich in Köln und Mainz und verbreiteten sich entlang des Rheins. Mittlerweile finden sich zahlreiche eigene Variationen und Formen, die sich innerhalb der verschiedenen Regionen stark unterscheiden können.
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Kappensitzung
Text: Florian Memmesheimer
Leon Messer in seiner Rolle als Zotzenheimer Reporter.
© Leon Messer
Die Grenzen des Sagbaren können in zwei verschiedene Richtungen überschritten werden. Zum einen als ein Bruch von Tabus oder zum anderen als Entlarvung von Klischees, die zu Ungleichheiten in der Gesellschaft beitragen. Auf die als Beispiel ausgewählte Büttenrede trifft hierbei die zweite Form der Grenzüberschreitung zu.
Leon Messer, der Redner, schlüpft in seiner von ihm verfassten Büttenrede in die Rolle eines Zotzenheimer Reporters, der sich als Frau verkleidet, um das Interesse an seiner ortsansässigen Zeitung bei den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt zu steigern.
Dabei erzeugt er durch Komik Kritik auf verdeckte Weise, wodurch er die Einstellung des Publikums indirekt hinterfragt. Der Text selbst behandelt vor allem stereotype Klischees der Frauenrolle und darüber hinaus Vorurteile über ein unbeschwertes, leichteres Leben als Frau. Niemand im Publikum wird annehmen, dass diese Anspielungen ernst gemeint sind.
In Büttenreden werden daher oftmals scheinbare Konflikte, Vorurteile oder Einstellungen dramatisch und lustig gestaltet, die nach der Entlarvung ihrer Scheinwerte mit heiterer Überlegenheit gelöst werden.
...Ich bin mir sicher die Quoten würden steigen,
wenn ich tät e' Frau euch zeigen.
So blieb mir gar keine andere Wahl,
ich werd' zur Frau dann heute mal
Ich kauft' mir e' Perück,
ich sag es nur,
hat Steffi Schäfer ihr Frisur.
Ich klaute den BH von meiner Mutter
und gab den Dingern ganz viel Futter.
Damit die Stimmung tut net kippen,
färbte ich mir meine Lippen.
In hohe Schuhe quetschte ich mich auch noch rein,
so werd ich dann e' Frau halt sein.
Ich verlass jetzt mo die Bütt,
denn ich fänds gut,
wenn ihr mich besser sehen tut...
(Auszüge aus „Zotzenheimer Zeitung II“ von Leon Messer, Fastnachtsvortrag 2016).
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Durch welche (sprachlichen) Merkmale zeichnet sich eine Büttenrede aus?
Texte: Caroline Höllen, Leon Messer, Rabia Temel
Spielmanngruppe beim Straßenkarneval © pixabay / Ben_Kerckx
„Man hört so oft, die Blasmusik ist heut nicht mehr modern,
und trotzdem hör` ich sie halt immer wieder gern.
Denn überall, wo Blechmusik erklingt, ihr liebe Leut`,
ja, da herrscht Jubel, Trubel, Heiterkeit.“
(Toni Hämmerle 1963)
Das Hören und Singen von Karnevalsliedern beeinflusst die Gemüter der Menschen und motiviert sie zum Feiern und zu guter Laune. Karneval im Rheinland bedeutet, verschiedene Traditionen und Dialekte aufleben zu lassen, die sich gerade auch in den Liedern auf eine durchdachte und stilistische Art und Weise bemerkbar machen. Obgleich es in den Liedern um Kritik an den politischen Verhältnissen, Liebe oder Freundschaft geht; die Karnevalistinnen und Karnevalisten feiern gemeinsam die fünfte Jahreszeit, in guten wie in schlechten Zeiten.
„(…) Lasst fröhlich uns ein Liedchen singen,
so lang dies kurze Leben währt,
Und lasst ein Pereat uns bringen,
Dem Grämler, der uns dieses wehrt.
Die Lust muss sich bei uns verbreiten,
Trinkt, Brüder, trinkt! (…)“
(Auszug Lied „Aufmunterung zur Freude“ (1842),
Verfasser unbekannt. In: Liederbuch Jokusstädtische Lieder der Karnevals-Gesellschaft zu Coblenz)
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Das Karnevalslied
Text: Antonia Kurnikova, Lisa-Marie Martin, Henrike Schneider, Josephin Sonntag
Kölner Dom © pixabay / Digeman
Karneval ohne Karnevalslieder ist kaum vorstellbar, daher ist es auch nicht verwunderlich, dass es eine Vielzahl davon gibt. Jedoch lassen sich inhaltliche, aber auch epochenspezifische Unterschiede hinsichtlich der verwendeten Motive, die besungen werden, festmachen.
Eines der wichtigsten und prägnantesten Motive im Kölner Karneval ist der Lokalpatriotismus, der sich insbesondere durch die Verwendung des Dialektes, aber auch durch das Aufgreifen stadttypischer Wahrzeichen, Elemente und das Besingen der Veedel äußert.
Gleichsam wird die Tradition bzw. der Karneval als solches immer wieder thematisiert.
Dass Liedtexte und politische Botschaften in engen Zusammenhängen stehen, ist vielfach belegt. Meist dient die Thematisierung von politischen Themen der Aufarbeitung der Geschehnisse, so z.B. der NS-Zeit in historischer Perspektive oder der Bewältigung des Rassismus in der Gegenwart. Aber auch die Folgen der Weltkriege stellen ein wichtiges Motiv in kölschen Karnevalsliedern dar, da gerade Köln schwer von der Zerstörung durch die Kriege betroffen war.
Des Weiteren sind Religion und die Thematisierung von Gott von wesentlicher Bedeutung in Karnevalsliedern. Daran anknüpfend ist der anthropologische Charakter des Lebens, bedeutsam der durch die Thematisierung des Motives von Leben und Tod zum Vorschein kommt. Auch die Liebe stellt ein einprägsames Motiv in Karnevalsliedern dar. Ein weiteres Motiv, welches immer mehr in den Fokus rückt, ist die Multikulturalität.
Hier finden Sie den vollständigen Ausstellungstext sowie eine Auswahl von Exponaten:
Ausgewählte Motive in Karnevalsliedern
Text: Jennifer Pokorra
Vielfalt im Kölner Karneval © pixabay / rena29
Wie wird das besondere „kölsche Lebensgefühl“ über Jahrzehnte weitergegeben und aufrechterhalten? Um diese Frage zu beantworten, wurden die relevanten Merkmale des kulturellen Gedächtnisses nach Jan Assmann berücksichtigt.
- Erstes Merkmal ist die ,Identitätkonkretheit', die sogenannte Gruppenbezogenheit. Das kulturelle Gedächtnis bewahrt den Wissensvorrat einer Gruppe, wodurch ein Bewusstsein für eine Einheit und Eigenart geschaffen wird.
- Zweites Merkmal ist die ,Rekonstruktivität'. Die Gesellschaft rekonstruiert immer Bezugsrahmen, wodurch die Vergangenheit in Erinnerung bleibt und bewahrt wird. Das kulturelle Gedächtnis bezieht sein Wissen dabei immer auf eine aktuell gegenwärtige Situation.
- Durch das dritte Merkmal ,Verbindlichkeit' entsteht eine klare Wertperspektive und ein Relevanzgefälle.
Die „kölschen“ Karnevalslieder vermitteln klare Werte, aber nicht einer Ein- und Ausgrenzung, sondern eines harmonischen und toleranten Miteinanders. Dabei wird für Zusammenhalt und gleichzeitige Offenheit plädiert. Das „kölsche Lebensgefühl“, das sogenannte Selbstbild, wird durch die Lieder produziert, repräsentiert und jedes Jahr auf ein Neues auch reproduziert.
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Die Aufrechterhaltung des „kölschen Lebensgefühls“ in den Liedern des Kölner Karnevals
Text: Mara Leyer, Jennifer Maur, Leonie Romes
Die Statuen von Amalie Lauer und Willi Ostermann am Rathausturm in Köln © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)“
Insgesamt schrieb er etwa 200 Lieder und Gedichte, von denen heute noch viele bekannt sind: „Das Rheinlandmädel“ und „Einmal am Rhein“ begegnen uns häufig auf Volksfesten. Auch im Kölner Karneval spielt der Name Ostermann nach wie vor eine große Rolle, nicht nur durch die nach ihm benannte Medaille. Kölsche Bands wie die Bläck Fööss greifen immer wieder gerne auf seine Lieder zurück.
Dabei ist seine Person umstritten. Bis heute ist sein Verhältnis zur NSDAP nicht eindeutig geklärt. Das Meiste, das über seine Person bekannt ist, weiß man aus Erzählungen von Freunden und Kollegen. darunter auch Karnevalspräsident und NSDAP-Mitglied Thomas Liessem. Ostermann soll allerdings in der Auswahl seiner Freunde keinen Unterschied bei Herkunft und Gesinnung gemacht haben. Was bei der Klärung der Frage helfen könnte, sind seine Werke.
Die „Madeirafahrt“ schrieb er im Frühjahr 1936, nachdem er von einer Schiffsreise zurückkehrte. Darin schildert er seine Erlebnisse und dankt der NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF), die ihn dazu eingeladen hatte. Herausstechender ist das Lied „Su schön wor et noch nie!“, das er nach der NS-Machtergreifung 1933 verfasste. Es kann je nach Betrachtungsweise als Satire oder als ernstgemeintes Lob auf die kommenden Zeiten gesehen werden. Der NS-Bezug lässt sich darüber nicht abschließend klären. Was sich aber festhalten lässt, ist Ostermanns gute Beobachtungsgabe und Fabulierkunst in Kölscher Mundart.
Hier finden Sie den vollständigen Ausstellungstext sowie eine Auswahl von Exponaten:
Die Karnevalslieder von Willi Ostermann – Kölns größtem Heimatdichter
Text: Markus Möwis
Narrenkostüm © Rheinisches Fastnachtsmuseum, Koblenz
Der Narr ist im Karneval nicht wegzudenken. Im Mittelalter wurde der Vorläufer dieses Festes sogar als „Narrenfest“ selbst beschrieben, bei dem der Narrenpapst vom Volk für seine Hässlichkeit ausgezeichnet wurde. Was vor allem der Belustigung zu dienen scheint, hat jedoch eine weitaus tiefergehende Bedeutung: An Karneval übernehmen die Narren die Rolle des Hofnarren, der die Herrschenden außerhalb der fünften Jahreszeit in seinem Verhalten und seinem Reden kritisiert, ja sogar dabei aufzieht. Er stößt die Herrschaftsverhältnisse um und wird vom gemiedenen Außenseiter zum vorübergehend gefeierten Herrscher.
Das Kostüm des Narren, bestehend aus der Narrenkappe und einem mit Glöckchen verzierten bunten Gewand, schreit dabei nach Aufmerksamkeit. In die Hand wird dem Narren auch ein Spiegel gegeben, in mittelalterlichen Kunstwerken manchmal auch ein Laib Brot oder ein Schild. Der Spiegel reflektiert dabei das Gesehene, auch seinen Betrachter, doch ohne ihn explizit zu kritisieren. Er zeigt, wie es ist – ganz unzensiert.
Ein richtiger Narr muss also nicht nur gesellig unterhaltend sein, sondern sich auch mit der Gesellschaft allgemein auseinandersetzen, denn auch wenn er im Narrenkostüm steckt und sich als Narr präsentiert, ist es doch gerade seine Funktion, die anderen zum Narren zu halten.
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Der Narr im Karneval. Kehlmanns „Tyll“ als Aufklärer und Hugos „Quasimodo“ als Paradebeispiele?
Text: Till Bohlen, Katharina von Werne
Nubbel in der Kölner Südstadt. © Superbass, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Der rheinische Karneval zeichnet sich durch seine zahlreichen Riten aus. Ein spezieller Ritus, der vor allem in Köln zelebriert wird, ist die Nubbelverbrennung. Bereits seit dem 19. Jahrhundert wird dort zum Straßenkarneval eine lebensgroße Puppe aus Stroh an die Kneipen gehängt, die an Veilchendienstag, begleitet von einem Trauermarsch, auf einer Bahre durch die Straßen der Stadt getragen und auf dem Marktplatz verbrannt wird.
„Nubbel“ ist ein kölscher Begriff, der verwendet wird, wenn keine näheren Angaben gemacht werden können. „Dat wor dä Nubbel“ bedeutet so viel wie: „Das war irgendjemand“. Die Puppe dient für die Jecken als Sündenbock, der alle Sünden, die während der Karnevalstage begangen werden, auf sich nimmt. Bevor der Nubbel für seine Sünden büßen muss, wird eine Anklageschrift, die in der Regel in kölscher Mundart und auf humorvolle Weise verfasst ist, vorgetragen.
Das kulturelle Gedächtnis imaginiert ein Selbstbild einer Gesellschaft, das sich durch die Pflege, Wiederholung und Vergegenwärtigung von Ritualen zu einer kollektiven Identität entwickelt und so eine Erinnerungskultur ausbildet. Dies geschieht im Karneval auf besondere Weise. Gesellschaftliche Ordnungen sind vorübergehend aufgelöst. Jeder kann seine irrationale und affektive Seite ausleben. Die Nubbelverbrennung kann in diesem Sinne als eine Art Ventil verstanden werden und sie hat gleichzeitig eine identitätsstiftende Bedeutung.
Hier finden Sie den vollständigen Ausstellungstext sowie eine Auswahl von Exponaten:
Die Bedeutung des kulturellen Gedächtnisses am Beispiel der Nubbelverbrennung
Text: Paula Weber
Funkenmariechen im Kölner Karneval [1930er Jahre] © koelner-karneval.info
Herren werden zu Sklaven, Weiber zu Männern, Jünglinge zu Jungfrauen
(Rheinisches Fastnachtsmuseum Koblenz, Dauerausstellung.)
Im Karneval wird alles Mögliche auf den Kopf gestellt - auch Geschlechterrollen. Es geht um eine verkehrte Welt, um die Flucht vor den Regeln des Alltags: Und das schon seit dem Mittelalter. Über die Kostüme werden die Kleidungsregeln und Geschlechterrollen nicht nur komplett vertauscht, sondern auch aufgelöst. Das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts bezeichnet man auch als Crossdressing.
Ein gutes Beispiel dafür sind die Funkenmariechen: Frauen war die Teilnahme am bürgerlichen Karneval untersagt, deswegen wurden weibliche Rollen ursprünglich von Männern dargestellt. Der Ursprung sind die Marketenderinnen des 30-jährigen Krieges, sie begleiteten jedes Heer. Die Figur des Tanzmariechens soll 1844 in Koblenz nach der Aufführung der Oper „Regimentstochter“ entstanden sein. Heute werden sie meist nur auf ihr Geschlecht reduziert, der Aspekt des Leistungssports wird vernachlässigt.
Das Männerballett stellt im Gegenzug dazu eine satirische Laienversion des Balletts dar. Die Verkleidung als Frau diente damals zum Einschleichen in den Damen-Sitzungssaal. Die Frauen beschlossen jedoch, dass die Männer zur Belustigung bleiben und mittanzen durften.
Der Sitzungskarneval bedient sich immer noch sexistischer Witze und Rollenklischees, die meist über Programmpunkte wie Büttenreden transportiert werden. Dabei hat der Karneval das Potential, diese Klischees aufzulösen.
Hier finden Sie den vollständigen Ausstellungstext sowie eine Auswahl von Exponaten:
Sexismus oder alles nur Spaß?
Text: Katharina Becker, Eva-Luisa Eitelbach, Markus Möwis, Katharina von Werne
Kostümierte Jecke feiern Karneval vor dem Kölner Rathaus. © Franz Gerd Frank, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
In seinem Werk Botschaften der Macht versucht Michel Foucault der Frage nachzugehen, wie Macht ausgeübt wird.
Bei dieser Frage nach dem „Wie“ werden das „Was“ und „Warum“ nicht ausgeschlossen, sondern es wird versucht, die Fragestellung anders zu formulieren, um herauszufinden, ob die Macht ein „Was“, ein „Warum“ und ein „Wie“ in sich vereinigt.
Das „Wie“ wird nicht im Sinne von „Wie manifestiert sich die Macht? “ sondern „Wie wird sie ausgeübt?“ verstanden.
Der Begriff Macht muss abgegrenzt werden. Macht wird in Fähigkeiten untergliedert. In diesem Zusammenhang kennzeichnet Macht, dass sie Verhältnisse zwischen Individuen und Gruppen miteinbezieht.
Mögliche Konstellationen, die man im Karneval findet:
- Individuelle Verhälnisse der Mitglieder / Hierarchien in Vereinen
- Verhältnisse der Vereine untereinander
- Früher: Verhältnis zwischen Schichten
- Heute: Verhältnis zwischen Karneval und Politik
Beispiele:
Annegret Kramp-Karrenbauers Büttenrede als Putzfrau Gretel 2019 erntete wegen eines Witzes auf Kosten intergeschlechtlicher Menschen bundesweite Kritik, doch auch Zustimmung von z.B. der AfD. Karnevalistische Kritik an der Politik birgt auch eine Chance für Politikerinnen, und Politiker etwa, wenn sie selbst bei Sitzungen anwesend sind, die Möglichkeit, öffentlich Kritik abzuweisen oder anzunehmen und sich somit zu einem besseren Ruf zu verhelfen. Umgekehrt: Büttenreden der Karnevalistinnen und Karnevalisten sind auch immer eine Reaktion auf Handlungen der Politik.
Hier finden Sie den vollständigen Ausstellungstext sowie eine Auswahl von Exponaten:
Was haben Karneval und Macht (nach Foucault) miteinander zu tun?
Text: Amael Beaujeant, Leonie Halter
Jaques Tillys "Brexit-Motto-Wagen" am Rosenmontag 2019 in Düsseldorf © Lassewillken, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Karneval ist historisch gewachsen: Besonders im rheinischen Karneval, zu dem beispielsweise der Kölner, Bonner, Koblenzer, Mainzer und Düsseldorfer Karneval zählen , spielt Politik eine größere Rolle als mancher Narr meinen mag. Nach der von Köln ausgehenden Karnevalsreform von 1823 wurde im ganzen Rheinland nach dem Motto: „Wie wir feiern zeigt unser Befinden“ gefeiert. Lokale wie auch globale Ereignisse und Probleme spiegeln sich auch heute im Karneval wider. Aktuelle politische und gesellschaftliche Themen werden zum Beispiel in Motivwagen, Büttenreden, Karnevalszeitungen oder Kostümierungen thematisiert. Durch die deutliche Ironisierung dieser Themen wird auf die Wichtigkeit der jeweiligen Problematik verwiesen und Kritik geäußert.
Hier finden Sie den vollständigen Ausstellungstext sowie eine Auswahl von Exponaten:
Karneval und Politik
Text: Tobias Frey, Ellen Händler, Kai Machmer, Sibil Yigit
Gedenktafel für Karl Küpper an der Kalker Hauptstr. 215 in 51103 Köln-Kalk © Balham Bongos, Public domain, via Wikimedia Commons
Das mit Spaß, Gemeinschaftsgefühl und Heimatverbundenheit assoziierte Karnevalsfest bot dem nationalsozialistischen Regime die optimale Plattform, um seine Ideologie und politischen Ziele in das Volk zu transportieren. So wurde der Karneval zum Instrument und Vermittler der NS-Propaganda, bei dem Frohsinn und Spaß Seite an Seite mit Antisemitismus und Nationalismus feierten. Im Gegensatz zur heutigen Zeit wurden Umzüge nach den Vorstellungen des Nazi-Regimes gestaltet, Motivwagen daher häufig antisemitisch ausgerichtet und deutsches Traditionsgut, wie beispielsweise der Vater Rhein oder das Nibelungenlied, gefeiert. Die Kostüme der Narren reichten von den berühmten „Schwellköpfen“ bis hin zu offen rassistischen “Judenverkleidungen“. Doch nicht alle Narren waren mit dem Vorgehen der Nationalsozialisten einverstanden und so regte sich vereinzelt auch Widerstand gegen das Regime.
Der Büttenredner Karl Küpper war dabei eine der Persönlichkeiten, die ihre Stimme gegen die nationalsozialistischen Machthaber erhoben und dafür bestraft wurden. In der weiterführenden Online-Ausstellung soll das Thema Karneval zur Zeit des Nationalsozialismus detaillierter beleuchtet werden. Schwerpunkte liegen dabei auf dem Antisemitismus im Karneval, auf Veränderungen der Umzüge und Traditionen sowie außerdem auf Karl Küpper als Widerstandkämpfer. Zudem werden die heutige Aufarbeitung sowie Folgen der nationalsozialistischen Karnevalszeit beleuchtet.
Hier finden Sie den vollständigen Ausstellungstext sowie eine Auswahl von Exponaten:
Karneval im Nationalsozialismus
Text: Tabea Hollingshaus, Anna Lossa, Kristina Salzmann, Maureen Weber
Titelblatt von: Goethe, Johann Wolfgang von Das Römische Carneval. Berlin: Insel-Verlag, 2015.
Der Karneval kommt in der Literatur in verschiedenster Weise vor, oft als Motiv oder als Symbolbereich, und verweist dabei meist auf seine ursprüngliche Bedeutung, die im öffentlichen Karneval immer weiter zurücktritt. Die zeitliche Begrenztheit stellt eine Ausnahmesituation dar, die ihre größte Bedeutung zwischen Weiberdonnerstag und Karnevalsdienstag hat. Kulturelle Normen werden aufgelöst, Sünden relativiert. Es kommt zu einer umgestülpten Welt, in der hierarchische Strukturen aufgelöst werden und alle Menschen näher zusammenkommen, weshalb nur der öffentliche Karnevalsplatz der wahrhaftige Ort des Karnevals sein kann.
Der Karneval hat eine große politische Bedeutung. Durch die Herabsetzung der Herrscher wird Kritik möglich, was oft in Form von Parodien durch Doppelgänger-Figuren geschieht. Das Auslachen der eigentlichen Regenten als typisches Karnevalslachen ist eine Ambivalenz, die essentiell für diese Zeit ist. Es soll zu einer Veränderung der Zustände im Land führen.
Die Ernennung der Regenten und der baldige Ablauf ihrer Regentschaft symbolisieren ebenfalls die Zeit des Wandels und der Erneuerung sowie die durchgehende Ambivalenz von Tod und Wiedergeburt.
Unerlässlich ist die Maskerade, die die Konstruktion einer temporären anderen Identität ermöglicht und die Entblößung der eigenen Seele erlaubt. Es gibt diverse Akteure, die auch den Weg in die Literatur finden. Besonders zu nennen ist der Narr als Paradebeispiel eines Karnevalisten.
Hier finden Sie den vollständigen Ausstellungstext sowie eine Auswahl von Exponaten: Bedeutungen des Karnevals für die Literatur
Text: Jonas Bamberg, Annemarie Grieß, Jan Luca Mies
Bakhtin in the twenties © Autor unbekannt Public domain, via Wikimedia Commons
Der russische Literaturwissenschaftler und Kunsttheoretiker Michail Michailowitsch Bachtin (1895-1975) entwickelte das Konzept der Karnevalisierung der Literatur. Unter diesem Begriff versteht er die Abbildung bzw. Übertragung kultureller Praktiken des Karnevals in literarische Traditionen, die sich wiederum auf die politische Ordnung der Gesellschaft auswirken.
Im Folgenden einige Zitate, die Bachtins Konzept illustrieren:
„Diesen Vorgang der Übertragung des Karnevals in die Sprache der Literatur nennen wir Karnevalisierung der Literatur.“
„(…) jedes literarische Werk ist innerlich und immanent soziologisch.“
„Der Karneval ist umgestülpte Welt.“
„Während des Karnevals kann man nur nach seinen Gesetzen leben, d.h. nach den Gesetzen der Karnevalsfreiheit.“
„Familiarisierung“
„Jegliche Distanz zwischen den Menschen wird aufgehoben.“
„Karneval bildet (…) einen neuen Modus der Beziehung von Mensch zu Mensch aus, der sich den allmächtigen sozialhierarchischen Beziehungen des gewöhnlichen Lebens entgegensetzt.“
„Exzentrizität“
„Benehmen, Geste und Wort lösen sich aus der Gewalt einer jeden hierarchischen Stellung.“
„Sie (Benehmen, Geste und Wort) werden exzentrisch (…).“
„Mesalliance“
„Der Karneval vereinigt, vermengt und vermählt das Geheiligte mit dem Profanen, das Hohe mit dem Niedrigen, das Große mit dem Winzigen, das Weise mit dem Törichten.“
„Profanation“
„(…) das System der karnevalistischen Erniedrigungen und „Erdungen“, die unanständigen Reden und Gesten (…).“
Alle Zitate aus: Michail Michailowitsch Bachtin: Literatur und Karneval – Zur Romantheorie und Lackkultur. München: Hanser, 1996.
Text: Johannes Jahnke